Natriumpropionat ist das weiße, geruchlose und hygroskopische Natriumsalz der Propionsäure, auch Propansäure genannt. Es wird im Darmtrakt des Menschen in Propionsäure umgewandelt, die als gesättigte kurzkettige Fettsäure eine wichtige Funktion erfüllt. Propionate und Propionsäure sind in vielen Lebensmitteln natürlich vorhanden, wie zum Beispiel in Käse, Kaffee oder Meeresfrüchten.
In der Lebensmittelindustrie wird Natriumpropionat als synthetisch hergestellter Lebensmittelzusatzstoff E 281 als Konservierungsmittel eingesetzt, es hemmt das Wachstum von Bakterien, Schimmel- und Hefepilzen und wirkt so haltbarkeitsverlängernd in Backwaren und Kosmetikprodukten. Propionsäurebildende Bakterien sorgen für die Löcher im Emmentaler Käse und so ist diese Frage endlich beantwortet. Obwohl Propionat in Deutschland als Nahrungsergänzungsmittel vertrieben wird, hat es in der EU diese Zulassung bisher nicht.
In Deutschland war E 281 seit 1988 verboten, wurde jedoch 1998 im Zuge der EU-Angleichung wieder zugelassen. Propionsäure und Propionate können vermutlich bei Kindern Verhaltensstörungen wie Hyperaktivität, Konzentrationsstörungen, Lernschwächen sowie Schlafstörungen auslösen. Hochdosiertes Natriumpropionat reizt Haut, Schleimhäute, Augen und Atemwege.
Die Wirkung auf den Stoffwechsel wird unterschiedlich beurteilt. Einerseits sollen Propionate als Stoffwechseldisruptor Störungen im Zucker- und Fettstoffwechsel und dadurch verschlechterte Blutfettwerte und Insulinresistenz hervorrufen, andererseits wird von einem positiven Effekt auf den Blutzucker und den Fettstoffwechsel berichtet. Zudem soll die Freisetzung appetithemmender Botenstoffe angeregt und das Sättigungsgefühl verstärkt werden, weil die Entleerung des Magens gehemmt wird. Der Nahrung zugesetztes Natriumpropionat führte in Studien innerhalb eines halben Jahres bei Übergewichtigen zu einer Gewichtsabnahme.
Rezeptoren für kurzkettige Fettsäuren befinden sich sowohl auf der Oberfläche von Zellen, die mit dem Fett- und Zuckerstoffwechsel zu tun haben, als auch auf Immunzellen. Propionsäure hat einen regulierenden Einfluss auf die Entzündungsbereitschaft des Darmes und dadurch auf den gesamten Organismus, denn 80 % des Immunsystems befinden sich im Darm. Im Gegensatz zu den langkettigen Fettsäuren verändern die kurzkettigen die Darmflora und damit auch die Krankheitsaktivität der MS positiv, sie gelangen bis ins Gehirn und werden dort unter anderem von Immunzellen aufgenommen und verstoffwechselt. Diese Zellen, auch Mikrogliazellen genannt, sind sehr aktiv und müssen entsprechend versorgt werden, damit sie nicht verkümmern.
Dies funktioniert nur, wenn die Darmbakterien im Dickdarm ausreichend Ballaststoffe haben, um die benötigten Fettsäuren zu produzieren. Bei der Zersetzung entstehen kurzkettige Fettsäuren wie Butter-, Essig- und Propionsäure. Diese sind eine der wichtigsten Energiequellen der oberflächlich gelegenen Darmzellen, der Darmepithelien, und sie werden auch an den gesamten Körper zur Energieversorgung weitergegeben. Zusätzlich hemmen die Säuren das Pilzwachstum im Darm.
Ein Ernährungsstil, der auf einfachen Kohlenhydraten, Zucker und tierischem Fett beruht, führt zu einer grundlegenden Veränderung des Darm-Mikrobioms und einer Reduktion der Bakterienvielfalt. Durch die modernen Produktionsprozesse enthält ein großer Teil unserer heutigen Nahrung zudem deutlich weniger kurzkettige Fettsäuren und Ballaststoffe als früher, die langkettigen Fettsäuren fördern die Entstehung und Vermehrung von entzündlichen Zellen in der Darmwand.
Kurzkettige Fettsäuren wie die Propionsäure fördern dagegen die Entstehung und Verbreitung von regulatorischen T-Zellen, die überschießende Entzündungsreaktionen und eine Schädigung des körpereigenen Gewebes hemmen können. Eine ballaststoffreiche Diät bewirkt nach einigen Monaten eine positive Veränderung in der Zusammensetzung der Darmbakterien und infolgedessen werden mehr kurzkettige Fettsäuren gebildet.
MS-Erkrankte haben häufig einen Mangel an Propionsäure sowie zu wenig derjenigen Darmbakterien, die für die Produktion dieser Säure zuständig sind. Die Fettsäuren in der Nahrung beeinflussen die Entstehung und den Verlauf von Autoimmunerkrankungen wie der Multiplen Sklerose, Schuppenflechte, Neurodermitis oder rheumatoiden Arthritis. Bei Menschen mit einer neurologischen Erkrankung fehlen oft ganze Bakterienstämme, dadurch wird die Produktion der wichtigen Fettsäuren eingeschränkt. Es lassen sich deutliche Unterschiede bei der Zusammensetzung der Darmflora von Patienten mit aktiver und stabiler MS feststellen.
Die Supplementierung mit Natriumpropionat führt zu verstärkter Bildung von Propionsäure im Verdauungstrakt und damit zum Aufbau einer anti-entzündlichen Darmflora, damit einer besseren Regulierung des Immunsystems sowie Versorgung der Gehirnzellen. Sowohl die Schubrate als auch das Risiko der Zunahme des Behinderungsgrades sollen durch eine Supplementierung langfristig reduziert werden. Durch die Zunahme der Immunzellen bei gleichzeitiger Verminderung der Entzündungszellen geht auch das Infektrisiko zurück.
Im Gegensatz zu den Therapien, die das überreagierende Immunsystem hemmen sollen, zielt die Gabe von Natriumpropionat darauf ab, die regulatorischen Komponenten des Immunsystems zu stärken und dadurch eine Überreaktion zu verhindern. In Laborversuchen zeigten sich außerdem neuroprotektive Eigenschaften der Propionsäure. Wechselwirkungen mit Medikamenten sind bisher nicht bekannt.
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